Optimierte Energiekosten für die fertigende Industrie?

Das Projekt Delfine – Teil I

Weniger CO2! Geringere Energiepreise! Das sind die zwei Forderungen, auf die sich Politik, Wirtschaft und Verbraucher aktuell einigen können (oder zumindest sollten). Glücklicherweise können wir (zumindest derzeit) zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Erneuerbare Energien (Sonne, Wind, Wasser und – mit Abstrichen – auch Biogas) sind nicht nur CO2-arm, sondern derzeit auch die günstigsten Energiequellen am Markt. Allein, sie stehen nicht immer dann zur Verfügung, wenn sie gebraucht werden. Speichersysteme werden hier langfristig helfen, einen Ausgleich zu schaffen. Doch wir werden unseren Verbrauch dennoch besser an die Verfügbarkeit anpassen müssen. Was im Privathaushalt mittels Energiemanagement und Nudging noch einfach möglich ist, wird jedoch ausgerechnet dort zur unüberwindlich scheinenden Herausforderung, wo am meisten Strom verbraucht wird – in der fertigenden Industrie. Und genau dieses Thema adressiert das Projekt „Delfine“, an dem STROMDAO maßgeblich beteiligt war. In einer zweiteiligen Artikelserie stellen wir euch das Projekt näher vor: Seine Herausforderungen, seine Lösungen und seine Zukunft.

 

Delfine? Wieso Delfine?

Bevor sich diese Frage in euren Köpfen festsetzt und euch von allem Weiteren ablenkt, hier gleich zu Anfang die Auflösung: „Delfine“ ist die Kurzform von „Dynamisches Demand-Response-System für eine nachhaltige Fertigung durch informationstechnische Vernetzung zur effizienten Energienutzung, -vermarktung und -erzeugung: dynamisches Demand-Response-System für flexible Stromtarife“.

Das spiegelt jetzt zwar hervorragend die Komplexität des Projektes wider, aber ihr seid jetzt vermutlich genauso klug wie zuvor. Doch belassen wir es einstweilen dabei, dass die namensgebenden Meeressäuger schöne sowie intelligente Tiere sind und sich alle Buchstaben des Wortes „Delfine“ in der oben genannten Langform wiederfinden. Steigen wir lieber in die Materie ein:

 

Das doppelte Ziel: Bezahlbare Energie bei CO2-Neutralität

Nach Willen des Gesetzgebers sollen wir möglichst bald (bis 2030) die CO2-Neutralität erreichen (die Netto-Null in der bundesweiten CO2-Bilanz). Gleichzeitig soll Energie bezahlbar bleiben.

Nun ergibt sich aus der aktuellen politischen und wirtschaftlichen Situation, dass wir vielleicht zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen können: Erneuerbare Energien sind aktuell deutlich günstiger als Strom aus fossilen Brennstoffen oder Atomkraft. Und CO2-ärmer sind sie auch. Das ist schon mal eine gute Ausgangslage. Zyniker könnten sogar auf die Idee kommen, den russischen Präsidenten Putin als größten Umweltschützer aller Zeiten auszuzeichnen: Durch die explodierenden Energieträgerpreise aufgrund des Angriffskriegs auf die Ukraine fördert er den Ausbau der erneuerbaren Energien besonders in Deutschland – allein schon aus Gründen der wirtschaftlichen Landesverteidigung. Außerdem sorgt er dafür, dass sein eigenes Land den wichtigsten Exportartikel – Öl und Gas – auf den Weltmärkten nur noch in äußerst engen Grenzen absetzen kann. Die Öl- & Gasbranche verliert so in Russland und auch weltweit stärker an Bedeutung.

Doch zurück nach Deutschland: Hier stellt der Gesetzgeber gleich ein ganzes Arsenal von Werkzeugen und Maßnahmen bereit – nach dem Prinzip von „Fördern und Fordern“ oder „Zuckerbrot und Peitsche“: Die CO2-Bepreisung wird ansteigen und sich so zu einem immer wichtigeren Kostenfaktor für Unternehmen und Verbraucher entwickeln. Das ist die Peitsche – oder zumindest einer ihre Schwänze.

Gleichzeitig fördert der Gesetzgeber (und fordert) eine Reihe von Maßnahmen, die als Incentive dienen, sich besonders umweltfreundlich zu verhalten:

Zum einen wird das Smart Metering, das zeitgenaue Erfassen des eigenen Stromverbrauchs also, in den Kosten gedeckelt – und somit bezahlbar für jedermann. Verbraucher können damit ihren eigenen Verbrauch in Echtzeit erkennen – und insbesondere Strom erst dann nutzen, wenn er aus erneuerbaren Energien stammt und entsprechend günstig ist.

Damit er das auch tut, wird die nächste Gesetzesnovelle sogenannte dynamische Stromtarife für alle Stromanbieter zur Pflicht machen. Ziel ist dabei nicht nur, die Schwankungen der Strompreise an die privaten und industriellen Endverbraucher weiterzugeben, sondern diese zu motivieren, Strom dann abzurufen, wenn er aus erneuerbaren Quellen stammt, und Lastspitzen im Netz abzuflachen, damit Energieerzeuger der letzten (und damit besonders teuren) Instanz wie Erdgas möglichst gar nicht mehr zum Einsatz kommen.

Für Privatverbraucher ist das vergleichsweise einfach: Smart Metering und ein intelligentes Energiemanagement, das Informations-Nudges an die Verbraucher sendet und sie beispielsweise darüber informiert, dass jetzt ein guter Zeitpunkt wäre, die Waschmaschine anzuwerfen, sind – zusammen mit Informationsquellen wie dem Corrently GrünStromIndex – auf dem Markt und relativ einfach einzusetzen.

Im Unternehmensbereich – insbesondere in der fertigenden Industrie – stellt sich die Situation aber komplexer dar.

Die Herausforderungen an (primär kleinere und mittlere) Unternehmen

Zwar modernisiert sich auch in der industriellen Fertigung die Technik: Sie wird leistungsstärker und energieeffizienter. Doch hier gilt zum einen das Primat der Leistung, zudem sind Maschinen langfristige Investitionen, die sich amortisieren müssen, bevor man sie austauscht. Neue Maschinen bedeuten zudem häufig neue Prozesse. Daher wird sich der Energiebedarf der Industrie nicht so rasch nach unten entwickeln, wie es etwa im Haushalt möglich ist – wenn überhaupt. Nehmen wir es also erst einmal als gegeben, dass der Energiegesamtverbrauch eines Unternehmens eine sich nur wenig ändernde Konstante ist. Ziel muss daher sein, das Abrufen der notwendigen Energie aus dem Netz in Zeiten zu verlagern, in dem diese besonders günstig und CO2-arm ist.

Große Unternehmen in der Fertigung haben es dabei noch vergleichsweise einfach: Sie setzen in der Regel auf integrierte Produktionsstraßen mit zentralem Leitstand. Wenn diese noch kein eigenes Verbrauchs-Metering haben, lässt es sich leicht integrieren. Zudem können diese Unternehmen einfach eine eigene Abteilung für den Energiehandel aufmachen und als Großverbraucher direkt an der Strombörse einkaufen. Dort können sie sich auch über langfristige Abnahmeverträge günstige Preise sichern. Und Kosten für Speicher und/oder Technologie zur Eigenerzeugung von Energie (Solar, Wind) können sie gleichfalls wirtschaftlich stemmen – zumindest einfacher als ihre Kollegen in den kleinen und mittleren Unternehmen (KMU).

Dort sieht die Situation schon anders aus. Zwar setzen auch die KMU zunehmend auf Eigenerzeugung, doch sie stehen vor dem großen Problem, den Bedarf ihrer Produktion mit der Verfügbarkeit der erzeugten oder günstig einzukaufenden erneuerbaren Energie abzustimmen. Das gestaltet sich oft komplex (und ist auch nicht immer möglich). Denn nun müssen sie ihrer Produktionsplanung neben Wunschlieferterminen sowie der Verfügbarkeit von Material, Rohstoffen, Arbeitskraft und Fachkompetenzen noch den Parameter „Verfügbarkeit erneuerbarer Energie“ hinzufügen. Das erfordert gleich ein ganzes Bündel weiterer Informationen:

Informationen zum eigenen Verbrauch

Die Produktionsprozesse in kleineren und mittleren Unternehmen basieren größtenteils auf dem Einsatz von Einzelmaschinen. Es gibt also keinen ganzheitlichen Blick darauf, wie viel die einzelnen Produktionsschritte jeweils benötigen. Herkömmliches Metering gibt nur einen Gesamtüberblick über einen längeren Zeitraum. Die Unternehmen müssten also zunächst einmal Smart Metering implementieren, um sich ein genaues Bild zu verschaffen. Das ist übrigens eine der Aufgaben, bei der STROMDAO als ESA Unternehmen in zunehmendem Maße unterstützt.

Informationen zur CO2-Bilanz

Da Unternehmen zudem gehalten sind, ihren unmittelbaren und mittelbaren CO2-Ausstoß zu bilanzieren, benötigt das Unternehmen auch solche Angaben für den verbrauchten Strom. Reine Schätzwerte mit zu großem Schätzzeitfenster zeichnen ein falsches Bild.

Prognostische Informationen zur Verfügbarkeit

Verkürzt ausgedrückt: Unternehmen müssen wissen, wann erneuerbare Energien in welchem Umfang im regionalen Stromnetz verfügbar sind – und das vorausschauend, denn das Unternehmen muss planen und kann nicht (wie wir Privatverbraucher) die Maschinen flexibel und in beliebiger Reihenfolge an- und abschalten. Der Corrently GrünStromIndex liefert eine solche Prognose. Allerdings ist das Zeitfenster, das wir bieten (vier Tage), für Unternehmen, die ja ihre Produktion oft Monate im Voraus planen müssen, deutlich zu kurz. Das passende Instrument muss also erst noch geschaffen werden – ein Kernstück des Projektes Delfine übrigens.

Der dynamische Demand-responsive Stromtarif als Incentive

Alles bisher Beschriebene erfordert aufseiten des Unternehmens Investitionen zur Erfassung, Ermittlung und Verarbeitung der notwendigen Informationen. Zudem sind möglicherweise weitere Investitionen notwendig, um die Prozesse im Unternehmen zu flexibilisieren. Diese Kosten muss das Unternehmen wieder einspielen, idealerweise durch die Optimierung der Energiekosten. Daher kommt dem Stromtarif eine besondere Bedeutung zu.

Ansätze für dynamische Stromtarife gibt es viele und die meisten orientieren sich an der Verfügbarkeit – vom Abbilden des jeweils aktuellen Strompreises an der Börse bis zu semi-statischen Tarifen, die einfach den Strompreis nach Tages-, Wochen- und Jahreszeit blockweise festlegen.

Nun könnten sich Unternehmen es einfach machen und sagen: „Wir nutzen einen solchen Tarif, belassen aber alles andere beim Alten. Da wir tagsüber produzieren und tagsüber zudem mehr Strom aus erneuerbaren Energien verfügbar ist, werden wir schon irgendwie sparen. Vielleicht setzen wir auch eines Tages auf Speicher – mal schauen.“

Nach wirklich nachhaltigem Energiewirtschaften klingt das nicht. Ein als Incentive wirkender Stromtarif nimmt daher auch die Demand-Seite wahr und reagiert darauf, belohnt also das Unternehmen für seine Bemühungen. Dabei geht es nicht nur um den Stromabruf zu Zeiten hoher Verfügbarkeit erneuerbarer Energien, sondern auch um die Anstrengungen, Lastspitzen abzuflachen. Auch das sollte ein Demand-responsiver dynamischer Stromtarif abbilden können.

Herausforderungen aufseiten des Stromanbieters

Allein, um einen solchen Tarif anbieten zu können, muss schon einiges geschehen:

Ausreichend erneuerbare Energien im regionalen Netz

Es nützt doch nichts, wenn im Norden der Wind weht und die Turbinen Energie produzieren, als gäbe es kein Morgen – der Strom muss ja auch zum Endverbraucher in südlicheren Regionen. Das erfordert ein entsprechend ausgerichtetes Grid (Aufgabe des Netzbetreibers) und idealerweise auch ausreichend regionale Produktion, denn nur regional erzeugte erneuerbare Energien sind wirklich annähernd grün. Stromproduzenten/Anbieter müssen also gleichfalls investieren.

Eine prognostische Informationsbasis mit ausreichendem Vorhersagezeitraum

Wie oben beschrieben benötigen die Unternehmen Informationen über die regionale Verfügbarkeit erneuerbarer Energien – und zwar mit einem möglichst langen Prognosezeitraum. Ein solches Instrument sollten die Anbieter/Netzbetreiber bereitstellen – oder eine neutrale, vertrauenswürdige Quelle.

Ein Abnehmer-übergreifendes Energiemanagement mit Feedback-Loop

Eine wesentliche Herausforderung ist es, Lastspitzen in den Bereich der Verfügbarkeitsspitzen zu verschieben und/oder abzuflachen. Das ist nicht ganz so einfach, denn selten stehen sich ein Anbieter und nur ein Abnehmer gegenüber, im Gegenteil: Ein Anbieter bedient viele Abnehmer.

Wenn nun alle Abnehmer bei besonders günstigen Strompreisen nach dem Prinzip „Eins, zwei, drei, gib ihm!“ Energie saugen, erzeugt das eine Lastspitze, die schnell die Verfügbarkeit übersteigen und damit die Energiepreise wieder treiben kann – und das wäre ja kontraproduktiv. Daher muss der Anbieter stets das Gesamtbild im Blick haben und an die Abnehmer kommunizieren.

Dazu benötigt der Anbieter wiederum Informationen jenseits der Verfügbarkeit, unter anderem zum Verbrauch eines Unternehmens. Das Unternehmen muss also seine Smart-Metering-Daten freigeben. Zudem muss die Disposition die Produktionsplanung als Proposal bereitstellen.

Dem System des Anbieters kommt nun die Aufgabe zu, in einer Feedback-Schleife das Gesamtbild und eigene Vorschläge an die Unternehmen zurückzugeben. Idealerweise entsteht so ein optimaler Kompromiss, der allen Seiten ausreichend Incentive bietet.

Und damit sind wir endlich beim Projekt Delfine angekommen.

„Delfine“ als Pilotprojekt

Es dürfte klar geworden sein, dass bis zur Bereitstellung eines dynamischen, Demand-responsiven Stromtarifs und einem effektiven Energiemanagement für die fertigende Industrie eine ganze Reihe von Hürden zu überwinden sind.

„Delfine“ hat sich zum Ziel gesetzt, Lösungen für möglichst alle offenen Fragen zu finden. Dazu wurde in Kooperation zahlreicher Unternehmen ein Pilotprojekt aufgesetzt.

Im Mittelpunkt steht dabei ein recht einfach gehaltener, aber realer Use Case: Die Trierer Stadtwerke übernehmen darin die Rolle des Anbieters und ein metallverarbeitendes Unternehmen sowie ein Betrieb aus der Gummi- und Kunststoff-Industrie die Position der Abnehmer.

Anhand dieses Use Cases entstand nun ein Pflichtenheft mit drei entscheidenden Aufgabenbereichen:

1.)    Information:

a.      Es muss ein Instrument geschaffen werden, das Anbietern und Abnehmern über ein möglichst großes Zeitfenster eine Prognose über die Verfügbarkeit von Elektrizität aus erneuerbaren Quellen liefert. Die Informationen müssen einfach implementier- und abrufbar sowie leicht verständlich und in Maßnahmen umzusetzen sein.

b.      Umgekehrt müssen die Unternehmen ihren eigenen Energiebedarf genau kennen, idealerweise für jeden einzelnen Prozessschritt. Diese Daten müssen zudem dem Anbieter zur Verfügung stehen.

2.)    Incentive:

a.      Auf Anbieterseite muss ein dynamischer Stromtarif bereitgestellt werden, der nicht nur die Verfügbarkeitsseite berücksichtigt, sondern auch die Nachfrage sowie die Bemühungen der Abnehmer, diese Nachfrage zu steuern.

3.)    Integration und Betrieb:

a.      Es muss ein Netzwerk mit einer Middleware geschaffen werden, in der alle Informationen zusammenfließen und die zudem Feedback gibt. Dies ist das technische Herzstück des Projektes.

b.      Zudem müssen verlässliche, schnelle Datenübertragungskanäle zwischen den Abnehmern, der Energieproduktion und der Middleware geschaffen werden.

Und all das sollte von Anfang an auf Skalierbarkeit ausgelegt sein: Zunächst von 1:2 (ein Anbieter und zwei Abnehmer wie im Use Case) nach 1:n, dann möglicherweise auch nach m:n, um auch mehrere Anbieter zu berücksichtigen.

Ausblick

Mit diesen drei Fragestellungen und den im Rahmen von „Delfine“ entwickelten Lösungen beschäftigt sich dann der zweite Teil dieses Artikels.

Bis dahin interessiert uns: Habt ihr Fragen oder Anregungen? Seid ihr selbst Unternehmer und wollt von den zukünftigen dynamischen Stromtarifen profitieren? Was sind dabei die besonderen Herausforderungen eurer Branche? Und nicht zuletzt: Wie würdet ihr das Akronym „Delfine“ in eine Langform übersetzen, jetzt, da ihr wisst, worum es bei dem Projekt geht? Lasst es uns wissen!