Infrastruktur als Festung und Waffe

Erneuerbare Energien als Beitrag zur Landesverteidigung?

Am 8. Oktober 2022 legten bisher unbekannte Täter weite Teile des Kommunikationsnetzes der Deutschen Bahn lahm. In der Folge kam landesweit ein Großteil des Zugverkehrs zum Erliegen. Dieser Terrorakt war low-tech und low-skill: Es brauchte nur Schwingschleifer, Brecheisen, Manpower, Koordination sowie etwas Fachwissen, das sich aber im Internet leicht recherchieren lässt. Das allein zeigt, wie vulnerabel die deutsche Infrastruktur ist – und das gilt auch für die Energiewirtschaft. Können erneuerbare Energien hier Abhilfe leisten? Wenn ja, wie? Und welche Risiken bergen sie in sich?

Die Grenzen unserer aktuellen Energie-Infrastruktur

Vielleicht werden unsere Geschichtsbücher den russischen Präsidenten Putin einst feiern – als Klimaretter wider Willen. Seine Bereitschaft, den Gashahn als Waffe zu nutzen, dürfte auch die größten Fans fossiler Brennstoffe davon überzeugt haben, dass eine Energieversorgung, die vom Import aus uns möglicherweise nicht freundlich gesinnten Ländern abhängt, ein hohes Risiko für die Landessicherheit darstellt - militärisch, ökonomisch und politisch.

Gleichzeitig hat der trockene heiße Sommer die Grenzen der von vielen als Alternative gepriesenen Kernenergie aufgezeigt: Frankreich musste seine Kraftwerke deutlich herunterfahren und Energie importieren – was die Strompreise in Europa noch weiter antreibt. Wer hätte je vorhersagen können, dass die Nutzung von Flusswasser als Kühlmittel ein großes Problem darstellt – außer natürlich jenen „Ökospinnern“ und Wissenschaftlern, die seit Jahrzehnten davor warnen?

Darüber hinaus ist die Stromversorgung in Deutschland stark zentralisiert. Etwa hundert Kraftwerke stemmen den Löwenanteil der Produktion. Ein Ausfall oder gar ein Angriff auf nur eines dieser Werke könnte daher bereits zu Problemen führen. Und das ist noch nicht das größte Problem: Der Strom muss über weite Strecken transportiert werden, in einem Höchstspannungsnetz, in dem Ausfälle sich verheerend und weit über die Landesgrenzen hinweg auswirken können. Dazu ist noch nicht einmal böser Wille nötig, wie die Ereignisse vom 4. November 2006 belegen:

Stapellauf in den Stromausfall

An diesem Tag lief in Papenburg das Kreuzfahrtschiff „Norwegian Pearl“ vom Stapel und sollte über den Weser-Ems-Kanal in die Nordsee fahren. Dazu musste eine den Kanal überquerende Höchstspannungsleitung kurzfristig abgeschaltet werden. Normalerweise wird so eine Abschaltung über ein alternatives Routing kompensiert – was wohl dieses Mal unterblieb. Es kam zur Netzüberlastung. Die Folge waren Stromausfälle nicht nur in Deutschland, sondern in weiten Teilen Westeuropas. In einigen Gebieten Italiens dauerte es sogar Wochen, bis die Stromversorgung wieder stabil war.

Allerdings zeichnete sich im Unglück auch gleich eine Lösung ab: In Baden-Württemberg erkannte man die Gefahr rechtzeitig; das Stromnetz des Bundeslandes wechselte in den autonomen Inselbetrieb. So kam das Ländle ohne Stromausfälle durch die Krise.

Was muss eine krisensichere Energieinfrastruktur leisten?

Zusammengefasst: Eine ideale, krisen- und (wirtschafts-)kriegssichere Energieinfrastruktur verzichtet nicht nur weitestmöglich auf den Import von Energieträgern, sondern ist dezentral organisiert – in miteinander vernetzten Inseln oder Zellen, die jedoch autonom agieren können. Idealerweise ist jede Zelle gleich mehrfach vernetzt: So ergibt sich gleichzeitig eine Vielzahl von Durchleitungsmöglichkeiten, die Zahl der „Single Points of Failure“ sinkt; Low- oder Hightech-Attacken werden schwieriger und haben selbst im Erfolgsfalle weniger negative Konsequenzen.

Genau solch eine dezentrale Infrastruktur ist den erneuerbaren Energien bereits systemimmanent: Bei Wind oder Sonne setzt man vorrangig auf den miteinander vernetzten Schwarm, die dezentrale Zelle – die PV-Anlage auf dem Dach, eines oder wenige Windräder an geeigneten Stellen. Und um Reibungsverluste (und damit die notwendige Einspeisung schmutziger Energie) zu verringern, setzt man zudem auf kurze Transportwege. So entsteht genau die krisensichere Infrastruktur, die wir benötigen – und zwar ganz von selbst und ohne die Notwendigkeit, weitere Kohle- oder andere Fossilkraftwerke allzu nahe an bewohnte Gebiete zu stellen.

Erneuerbare Energien oder (kalter) Weltkrieg?

Ein massiver Push für die dezentrale Stromproduktion aus erneuerbaren Energien ist daher unabdingbar notwendig. Solarzellen und/oder Sonnenkollektoren auf jedes Dach! E-Mobilität in jede Garage! Plötzlich klingt das gar nicht mehr nach einer utopischen Forderung von Ökofundamentalisten, sondern nach einem wahrhaft patriotischen Beitrag zur Landesverteidigung.

Diese Einschätzung teilt auch das amerikanische Pentagon: Dort wechselt man aktuell sogar auf elektrische Mobilität und strebt bis 2050 die Netto-Null bei den CO2-Emissionen an!

Und das ist nicht einmal besonders woke oder progressiv gedacht. Das amerikanische Verteidigungsministerium sieht sich als Institution, die abseits der Politik eine einzige Aufgabe hat: die Kampf- und Verteidigungsfähigkeit des Landes. Dazu gehört schon seit Langem, auf künftige Konfliktlagen zu blicken – und zwar, ganz nüchtern, auch solche, die der Klimawandel nach sich zieht. Nahrungsmittelknappheit durch Dürren, Verteilungskämpfe um Trinkwasser, Massenmigration, aber auch Naturkatastrophen im eigenen Land – all das bedroht auch bei uns die innere und äußere Sicherheit. Mit „Splendid Isolation“ und „Festung Europa“ ist dem nicht beizukommen, sondern allein mit Ursachenbekämpfung. Und wie so eine Konfliktlage konkret aussieht und welche Folgen sie auch für uns im reichen und angeblich sicheren Europa hat, das hat der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine modellhaft vor Augen geführt.

Wir tun also schon aus Gründen der Verteidigungsbereitschaft gut daran, den Energiewandel voranzutreiben. Doch dabei stehen wir vor mehreren Herausforderungen.

Herausforderung Kapazitäten

Nun besitzt nicht jeder Haushalt ein Dach, das sich mit Solarzellen bestücken ließe – oder ein ausreichend großes Grundstück für ein Windrad. Doch das ist auch gar nicht nötig. Allein, wenn jene, die es können, mit Solarzellen und Speicher den eigenen Strombedarf größtenteils decken, wäre schon viel gewonnen. Darüber hinaus sind PV-Anlagen auf den Maximalbedarf plus Sicherheitspuffer ausgelegt – und die Wahrscheinlichkeit, dass alle PV-Anlagen-Besitzer gleichzeitig all ihren Strom benötigen, ist relativ gering. Zudem ließe sich der Sicherheitspuffer in vielen Fällen sicher noch vergrößern – auch wenn hier Technik und Kosten Grenzen setzen. Was noch fehlt, ist die Einspeisemöglichkeit auch dann, wenn das Netz ohne Spannung ist – bei einem externen Ausfall also. Doch moderne Solaranlagen sehen das bereits vor. Die so geschaffenen Kapazitäten decken dann zwar noch immer nicht den gesamten Bedarf – aber sie reduzieren den notwendigen Zukauf von Energie bzw. Energieträgern deutlich. Zudem gibt es noch Wind, Biomasse – und die wichtige (allerdings aktuell nur wenig beachtete) Wasserkraft.

Herausforderung Finanzierung

Es ist schon eine bittere Ironie, dass ausgerechnet jetzt, wo der Markt überreif dafür wäre, viele Förderungsinstrumente für die notwendigen Investitionen gar nicht oder nur mit großen Hürden zur Verfügung stehen. Und es mag einem wie Hohn vorkommen, wenn der vernünftige Vorschlag von Fridays for Future, zu diesem Zweck ein weiteres Sondervermögen von hundert Milliarden Euro aufzulegen, wenn nicht verlacht, so doch aus Wirtschaftsraison oder in Anbetung der „schwarzen Null“ abgelehnt wird – offenbar nimmt die deutsche Politik die Bedrohung noch nicht in dem Maße wahr, wie es etwa das Pentagon tut. Möglicherweise haben wir zu lange unter dem Schutzschirm der NATO auf einer Insel der Glückseligen gelebt und uns über mögliche Konflikte und die Landesverteidigung zu wenig eigene und ernsthafte Gedanken gemacht.

Diese Zeiten sind vorbei: Die Bedrohung ist real und sie ist akut. Ein neuer Krieg steht nicht vor der Haustür, er hat schon längst begonnen – auf dem Schlachtfeld der Wirtschaft und der Infrastruktur. Um das zu erkennen, reicht ein Blick auf die Stromrechnung. Jedes aufgelegte Hilfsprogramm, jeder neue Panzer für die Bundeswehr wird sich als dabei als Trostpflaster erweisen, wenn wir nicht gleichzeitig die Verwundbarkeiten (und idealerweise auch die Konfliktgründe) bekämpfen und beseitigen.

Herausforderung Sicherheit

Noch einmal: Der Krieg ist bereits im vollen Gang. Das hat Putins Griff zum Gashahn, das hat die Sprengung der Nordstream-Pipelines mehr als deutlich gezeigt. Entsprechend müssen wir jeden Schritt, also auch jeden Infrastruktur-Um- und -Ausbau, auf Angriffspunkte abklopfen und diese adressieren.

Dazu gehört auch, dass wir PV-Anlagen von Privathaushalten ebenso als Teil einer kritischen Infrastruktur begreifen wie das Stromnetz und die großen und mittelgroßen Kraftwerke. Doch bisher werden diese Anlagen noch allzu oft als Produkte für den Konsumentenmarkt wahrgenommen: Consumer Technology mit Consumer Security.

Sicherheit heißt hier vor allem IT-Sicherheit: Man stelle sich einmal vor, durch einen Zero-Day-Exploit und ein angreifbares Software-Update-System würden auf einmal alle Steuerungsanlagen oder Speichersysteme eines Herstellers abgeschaltet. Das braucht nicht einmal eine staatlich gesteuerte Hacker-Armee. Ein Script Kiddie mit Trojaner-Baukasten würde da schon reichen. Die Auswirkungen wären verheerend.

Hier sind also Hersteller, Netzbetreiber und auch PV-Anlagenbesitzer gefordert, ihre Systeme so sicher wie möglich zu gestalten. Geeignete Technik und geeignete Konzepte dafür existieren. Sie müssen nur angepasst und implementiert werden. Teuer? Vielleicht. Aber seinen Preis wert.

Fazit

Die auch bei uns deutlich spürbaren Folgen des Ukraine-Kriegs zeigen uns ebenso wie der Anschlag auf die Deutsche Bahn: Wir – unsere kritische Infrastruktur – sind angreifbar. Ein Ausbau und weitestmöglicher Umstieg auf dezentral produzierte erneuerbare Energien ist also nicht mehr länger nur ein Beitrag zur (vielen Menschen noch immer abstrakt erscheinenden) Rettung des Weltklimas – sondern auch Beitrag zur nachhaltigen Landesverteidigung.

Dass wir nebenbei unsere Umwelt wieder schöner, artenreicher und lebenswerter machen und Probleme wie Hunger und Trinkwasserversorgung adressieren, ist dabei ein schöner (Nicht-Nur-)Nebeneffekt. Wir können alle unseren Beitrag leisten – und wenn es nur der Vertrag über Grünstrom ist. Und oftmals übertrifft dabei das Resultat – der langfristige Gewinn von Freiheit, Lebensqualität und wirtschaftlichen Vorteilen – den notwendigen Aufwand um ein Vielfaches.

Also packen wir es an!

Rebekka Mutschler