Kosten- und CO2-effiziente Produktionsplanung für die fertigende Industrie

Das Projekt Delfine – Teil II

Was haben erneuerbare Energien und ein 500€-Schein gemeinsam? Beide sind nie da, so möchte man manchmal scherzen, wenn man sie braucht. Aber erneuerbare Energie lässt sich nun mal nur begrenzt auf Abruf produzieren. Große Speichersysteme werden hier hoffentlich einmal den Ausgleich schaffen. Doch die sind einstweilen vielfach noch Zukunftsmusik. Wollen Unternehmen aus der fertigenden Industrie ihre CO2-Bilanz optimieren und von den niedrigeren Preisen profitieren, die erneuerbare Energien mit sich bringen, müssen sie Anstrengungen unternehmen, um ihren Energieverbrauch nach der Verfügbarkeit auszurichten. Und das verlangt entsprechende Planung – mit den dazu notwendigen Informationen. Umgekehrt nimmt das die Stromanbieter doppelt in die Pflicht: Sie müssen nicht nur diese Informationen bereitstellen, sondern den Verbrauch auch unternehmensübergreifend abstimmen, denn sonst kommt es zu einem Wettrennen um die erneuerbaren Energien, das genau die Lastspitzen erzeugt, die es eigentlich zu vermeiden gilt.

STROMDAO ist maßgeblich an einem Pilotprojekt beteiligt, dass die sich so ergebenden Herausforderungen adressiert und Lösungswege aufzeigt: das Projekt Delfine. Im ersten Teil dieser Artikelserie haben wir gesehen, welche Herausforderungen sich für alle Seiten stellen und welche Aufgaben solch eine Lösung bewältigen muss. In diesem Teil stellen wir das Projekt und den damit verbundenen Use Case näher vor.

Das Projekt Delfine: Zielsetzungen

Kern des Projektes Delfine ist die Erforschung und Entwicklung eines integrierten und anwendungsfallorientierten Energiemanagements für die fertigende Industrie. Dabei sollte ein unternehmensübergreifendes Simulationsmodul entwickelt werden, das allen Parteien die für ihre Wertschöpfung relevanten Daten und Informationen vermittelt. Dazu wurden fünf aufeinander aufbauende Konzepte entwickelt:

1.      Prognosemodelle für die Energieerzeugung aus lokalen, dezentralen Energieerzeugungsanlagen.

2.      Konzept für dynamische Strompreismodelle basierend auf Energieerzeugungsdaten, Wetteranalyse und weiteren Metadaten.

3.      Kommunikationskonzept und semantische Middleware für das Mapping von Demand-Response-Signalen (Empfehlung) über Spitzenlastmanagement und dynamische Preise.

4.      Konzept zur Integration der Informationen in die Produktionsplanung für die energieeffiziente und intelligente Nutzung von Ressourcen.

5.      Kommunikationskonzept für das Zurückspielen der Planungsdaten aus der Industrie an die Energie-Erzeuger/Netzbetreiber sowie die Durchführung weiterer Demand-

Response-Bereitschaftsanalysen.

Schematisch lässt sich das Projekt so darstellen:

Abbildung 1 - Konzeptbild Delfine

Die Abbildung veranschaulicht die relevanten Daten, Mechanismen und Schnittstellen zwischen den drei verschiedenen Perspektiven. Die blau markierten Textdokumente stehen hierbei für die spezifischen Ziele. Verknappt lassen sich die drei Aufgabenbereiche unter die Schlagworte Information, Kommunikation und Incentive subsumieren.

 

Information

Für eine Produktionsplanung benötigt das Unternehmen Informationen: Welches Produkt soll in welcher Menge wann ausgeliefert werden? Welche Ressourcen (Rohstoffe, Vorprodukte, Arbeitskräfte, Kompetenzen …) sind dafür notwendig und wann sind diese verfügbar? Welche Zeit erfordern die unterschiedlichen Produktionsschritte?

Der Informationsbedarf wird nun um eine weitere Dimension erweitert: die Energie. Und hier besteht gleich zweifacher Informationsbedarf: Das Unternehmen muss wissen, für welchen Produktionsschritt es wie viel Energie verbraucht. Und es benötigt Informationen zur regionalen Verfügbarkeit erneuerbarer Energien.

Smart Metering auf der Verbrauchsseite

Ersteres lässt sich aus dem nominellen Leistungsabruf der Maschinen und der geschätzten Maschinenlaufzeit ungefähr ermitteln. Per Smart Metering (möglicherweise bis hinunter auf die Einzelmaschinenebene) erfasste historische Daten liefern aber ein genaueres Bild.

Verfügbarkeitsinformationen auf der Anbieterseite

Für die Gegenrichtung, die Verfügbarkeit, wird nun ein Instrument benötigt, das in der Lage ist, möglichst genau und verlässlich vorherzusagen, wann wie viel Strom aus erneuerbaren Quellen im regionalen Netz vorhanden ist. Dieses Instrument ist der DelfinestromIndex – eine Weiterentwicklung des Corrently GrünstromIndex.

Der Corrently GrünstromIndex

Der Corrently GrünstromIndex erlaubt es Verbrauchern zu erkennen, wann und in welchem Umfang Strom aus erneuerbaren Quellen im regionalen Netz verfügbar ist – aufgeschlüsselt nach Postleitzahlbezirken. Dabei ist der GrünstromIndex, der einen Wert zwischen 0 und 100 annehmen kann, verkürzt gesagt ein Maß für die theoretische Strecke, die der Strom aus erneuerbaren Energien zurücklegen muss, bis er im regionalen Netz ankommt. Je höher der GrünstromIndex, desto kürzer die Strecke. Stammt der Strom beispielsweise aus dem Solarfeld in der Nachbarschaft, ist der GrünstromIndex nahe 100, muss er erst aus einem Offshore-Windpark „herbeigeschafft“ werden, bewegt sich der GrünstromIndex im einstelligen Bereich.

Diese Information stellt der GrünstromIndex nicht nur in Echtzeit, sondern prognostisch mit einem Zeitfenster von vier Tagen zur Verfügung. In diese Prognose fließen Informationen aus fünf Quellen ein:

1.      Netzstruktur: Wie kann der Strom fließen? Wo gibt es möglicherweise Engpässe?

2.      Historische Daten: Wie war die Verfügbarkeit bei früheren, ähnlichen Ausgangssituationen?

3.      Wetter: Scheint die Sonne? Weht der Wind? Sorgt Niederschlag für ausreichend Wasser in den Flüssen für die Wasserkraft?

4.      Marktstammdaten: Welche Erzeuger hängen überhaupt mit welchem Einspeisungspotenzial am Netz?

5.      Verbrauch: Wie viel Strom wird wann und wo (wahrscheinlich) verbraucht?

Das wäre so schon für Betriebe nutzbar, die Just-in-time produzieren – heute bestellt, morgen oder übermorgen geliefert. So arbeiten aber die wenigsten fertigenden Unternehmen – und schon gar nicht jene, die wirklich viel Strom verbrauchen, etwa in der Metallverarbeitung. Sie benötigen ein Instrument mit einem größeren Prognose-Zeitfenster: den im Rahmen des Projektes entwickelten DelfinestromIndex (DSI).

Der DelfinestromIndex

Ähnlich wie der GrünstromIndex (GSI) prognostiziert der DelfinestromIndex die Verfügbarkeit erneuerbarer Energien im lokalen Stromnetz und erlaubt so auch, einen dynamischen Strompreis zu berechnen. Dazu wurde der DSI gegenüber dem GSI um eine wesentliche Datenquelle erweitert: Klimadaten. Es werden nun nicht mehr nur Wetter- sondern nun auch Klimamodelle von international renommierten Klimadatenanbietern als Datenquelle berücksichtigt. Der Übergang zwischen reiner Nutzung von Wetterdaten hin zur Anwendung eines Klimamodells geschieht dabei fließend. Bis 36 Stunden Prognosezeitraum kommt nur das Wettermodell zum Einsatz, ab einer Woche und mehr ausschließlich das Klimamodell. In der Zeit dazwischen wird ein über die Dauer immer mehr in der Gewichtung verschobener Mittelwert gebildet.  Auf diese Weise stehen die Informationen zur Verfügung, die eine energieoptimierte Produktionsplanung nicht nur für die nächsten 36 Stunden, sondern ebenfalls für weiter in der Zukunft liegende Zeitpunkte erlauben.

Es sei aber Folgendes erwähnt: „Wetter“ ist, salopp gesagt, das, was wir sehen, wenn wir aus dem Fenster schauen, also aktuell erleben. „Klima“ hingegen beschreibt die Entwicklung des Wetters über längere Zeiträume, operiert daher mit Wahrscheinlichkeiten: So ist etwa in unseren Breitengraden der November tendenziell eher regnerisch (sehr vereinfachtes Klimamodell) – dennoch können wir auch diesem Monat Tage oder ganze Wochen des Sonnenscheins erleben und weinend vor der bereits winterfest verrammelten Eisdiele stehen (Wetter). Prognosen und Realität können also voneinander abweichen.

Kommunikation

Vorab: Die Player im Pilotprojekt Delfine

Delfine wurde entlang eines realen Use Cases entwickelt: Die Trierer Stadtwerke übernahmen darin die Rolle des Stromlieferanten und ein metallverarbeitendes Unternehmen sowie ein Betrieb aus der Gummi- und Kunststoff-Industrie die Position der Abnehmer.

Der Datenaustausch

Zwischen diesen drei Playern müssen kontinuierlich Informationen ausgetauscht werden:

(1)   Der Stromanbieter überträgt seine Informationen zum DSI an die Unternehmen.

(2)   Die Unternehmen übertragen im Gegenzug ihre Informationen zur Produktions- und Verbrauchsplanung an den Stromanbieter.

(3)   Der Stromanbieter simuliert nun die voraussichtlich tatsächliche Auslastung des Netzes auf Basis der Produktionsplanung aller Player und meldet dies zurück an die Unternehmen (Feedback-Schleife).

(4)   Die Unternehmen passen gegebenenfalls ihre Produktionsplanung an und melde diese an den Stromanbieter.

(5)   Die Schritte (3) und (4) wiederholen sich bis zum optimalen Kompromiss.

Das war es? Weit gefehlt. Denn jetzt haben wir erst einmal eine Produktionsplanungsphase hinter uns gebracht, die selbst schon kontinuierlich ist, da Unternehmen ja immer wieder neue Orders erhalten. Darüber hinaus muss jedoch das reale Geschehen erfasst werden – auf Unternehmens- und Stromanbieterseite.

(6)   Die Unternehmen übertragen nun möglichst in Echtzeit ihre Smart-Metering-Daten.

(7)   Der Stromanbieter nutzt diese Daten nicht nur, um den Strom mit einem dynamischen Tarif abzurechnen, sondern auch, um seine Simulation der Netzauslastung kontinuierlich anzupassen, sei es für Echtzeitfeedback an die Unternehmen, sei es für historische Daten als Basis für den DSI. Dabei fließt dann auch das aktuelle Wettergeschehen ein, das sich gerade bei auf Klimamodellen basierenden Forecasts deutlich von der ursprünglichen Annahme unterscheiden kann.

(8)   Und eventuell passen die Unternehmen ihre Produktionsplanung an – entweder aufgrund der neuen Simulation oder unvorhergesehener Ereignisse, z. B. bei Störungen in der Lieferkette oder Maschinenausfall. Auch diese Information muss dann wieder übertragen werden.

Zwischen den Playern müssen also sehr viele Daten verlässlich ausgetauscht werden. Die Datenübertragung war daher ein wesentliches Thema im Projekt Delfine.

Doch das Herzstück für diesen Austausch ist …

Die Delfine Middleware

Der Delfine Middleware kommt nun die entscheidende Aufgabe zu, diese Datenströme zu verwalten und die entsprechende Datenverarbeitungs- und Simulationsarbeit zu leisten. Sie steht also in der Mitte der Organisation, hat eine Mittlerfunktion und … okay, weiter wollen wir das Wortspiel nicht ausweiten.

Und so sieht unser 1:2-Netzwerk (ein Stromanbieter, zwei fertigende Unternehmen) dann in der Prinzipskizze aus:

Abbildung 2 - Delfine Middleware

Incentive

„Je mehr Energie aus lokaler Erzeugung genutzt wird, desto günstiger und umweltfreundlicher wird es!“ (Thorsten Zoerner, Geschäftsführer der STROMDAO GmbH)

Nun werden Unternehmen nicht allein aus Selbstlosigkeit und Liebe zur Umwelt auf Lösungen wie das Projekt Delfine setzen. Sie wollen konkret profitieren – durch geringere Stromkosten und eine nachweisbar bessere CO2-Bilanz. Denn zum Nulltarif ist die Unternehmensseite von Delfine nicht zu haben. Und diese Investitionen müssen sich amortisieren.

Schauen wir uns dazu einmal ein Beispiel an:

Ein fiktives Industrieunternehmen hat einen jährlichen Stromverbrauch von 100 MWh = 100.000 kWh im Jahr. Um Teile seines Verbrauchs abzudecken, hat das Unternehmen auf dem Industriegelände zahlreiche Solarpanels installiert – mit einer Erzeugungsleistung von gleichfalls 100.000 kWh. Die Produktion findet täglich je nach Produktionsplanung zwischen 6 und 20 Uhr statt. Dabei deckt das Unternehmen seinen Stromverbrauch zu 60 % aus Eigenerzeugung. Die restlichen 40 %, also 40.000 kWh, werden für 25 Cent/kWh aus dem Netz bezogen. Ebenso wird die restliche Erzeugung für 10 Cent / kWh ins Netz eingespeist. Nehmen wir nun an, dass 1 kWh aus dem Stromnetz 400 g CO2 erzeugt und die Emission einer Tonne CO2 500 € kostet: 2.500 kWh Strom = 1 Tonne CO2 = 500€.

Die jährlichen Gesamtkosten:

Kosten durch den Einkauf von Strom = 40.000 kWh * 0,25 € =                   10.000 €

Einnahmen durch das Einspeisen von Strom = 40.000 kWh * 0,10 € =         4.000 €

Verrechnete Kosten für das Jahr =
Kosten durch Energiebezug – Einnahmen durch Einspeisen                                               6.000 €

CO2-Emission: 40.000 kWh Bezug / 2.500 kWh = 16 Tonnen CO2

Kosten durch CO2-Emission: 16 Tonnen CO2 * 500 € =                                      8.000 €

Summe der Jahreskosten für den Strombezug aus dem Netz:                                      14.000 €

 

Binden wir das Unternehmen in Delfine ein und erhöhen durch die optimierte Produktionsplanung sowie das Verschieben/den Ausgleich von Lastspitzen erst mal NUR den Eigenverbrauch auf 70 %, so ergeben sich die folgenden Kosten für das Jahr:

Jährliche Gesamtkosten mit Delfine:

Kosten durch den Einkauf von Energie: 30.000 kWh * 0,25 € =                     7.500 €

Einnahmen durch das Einspeisen von Energie: 30.000 kWh * 0,10 € =       3.000 €

Verrechnete Kosten für das Jahr = Kosten durch Energiebezug –
Einnahmen durch Einspeisen:                                                                                                    4.500 €

CO2 Emission: 30.000 kWh / 2.500 kWh = 12 Tonnen CO2

Kosten durch CO2 Emission: 12 Tonnen CO2 * 500 € =                                   6.000€

Summe der Jahreskosten für den Strombezug aus dem Netz:                                       10.500 €

 

Durch die Optimierungen in der Produktionsplanung allein lassen sich also bereits 3.500 € im Stromeinkauf sowie CO2-Emissionen von vier Tonnen einsparen. Überschlagsmäßig gerechnet: Jedes Prozent mehr Strom aus Eigenerzeugung spart 350 €.

Doch damit sind wir noch nicht am Ende: Bisher rechnen wir ja mit einem statischen Stromtarif, der immer und zu jeder Zeit den gleichen Preis verlangt. Das Projekt Delfine schlägt jedoch einen Tarif vor, der an den DelfinestromIndex (DSI) gekoppelt ist. Wenden wir den jetzt einmal auf die verbleibenden 30.000 kWh an, die das Unternehmen noch einkaufen muss.

Nehmen wir dazu vereinfachend an, dass der Strom bei einem durchschnittlichen DSI von 70 erfolgt, 30 Prozent der Energie im Netz also noch aus fossiler Erzeugung stammt. Der oben genannte Bezugspreis bleibt unser Arbeitspreis, es kommt aber als dynamische Komponente eine Preisspreize von 11 Cent/kWh hinzu. Dann ergeben sich folgende Stromkosten:

Tarifpreis / kWh = ~ 20,6 Cent
Bezugskosten = 30.000 * 0,206 € = 6.180 €

Und wie sieht es nun beim CO2 aus? Dazu nehmen wir an, dass nur bei den 30 Prozent der Energie, die nicht aus erneuerbaren Quellen stammen, CO2-Emissionen anfallen. Es gilt also die Formel:

Gesamte CO2-Emission = Bezug * 30 % * CO2-Emission

Unsere gesamten CO2-Emissionen betragen also 2.472.000 g CO2 (30.000 * 0,3 * 400 g), also 2,472 Tonnen. Das entspricht Kosten von 1.236 €.

Und damit ergibt sich die

Delfine Summe der Jahreskosten für den Strombezug aus dem Netz:
6.180 € + 1.236 € =
7.416 €

Die Stromkosten in dieser recht konservativen Rechnung halbieren sich also fast – eine deutliche Ersparnis. Sollten sich zudem die aktuellen Trends im Bereich Speicherung fortsetzen bzw. realisieren, werden diese Kosten sogar noch weiter sinken – bei zunehmender Flexibilität in der Produktionsplanung.

 

Wohin ziehen die Delfine? – Zwischenstand und Ausblick

Das fiktive Rechenbeispiel deutet es schon an: Das Projekt läuft noch – und entsprechend abschließende Zahlen liegen noch nicht vor. Der aktuelle Stand des Projektes Delfine lässt sich aber so umreißen:

Das Grundsystem steht und ist live, auch wenn noch die einen oder anderen kleineren Baustellen adressiert werden müssen. Nun heißt es für uns bei STROMDAO und beim übrigen Delfine-Konsortium: Beobachten, im Zweifelsfall nachjustieren und … abwarten. Für verlässliche Zahlen sollte der Pilot-Use-Case erst einmal längere Zeit laufen.

Wir sind jedoch optimistisch und legen auch in diesem Blog das Projekt Delfine auf Wiedervorlage: In einem Jahr ziehen wir dann noch einmal Bilanz.

Apropos: Das Projekt Delfine ist natürlich auch selbst im Web präsent. Dort findet ihr jede Menge weitere Infos.