Stromkollektive, wohin man nur sieht?

Gemeinsam zur erfolgreichen Energiewende: 100 % erneuerbare Energien bis 2040 – Teil IV

Wie lässt sich die Versorgung mit erneuerbaren Energien regionaler und nachhaltiger gestalten? Und wie kann ich als Besitzer einer PV-Anlage oder eines Windrads die Früchte dieser Investition möglichst effektiv nutzen? Das STROMDAO Stromkollektiv versucht, Antworten auf diese Fragen zu finden. Doch wir sind nicht die einzigen Player, die sich mit dieser Thematik auseinandersetzen. In diesem Artikel stellen wir euch andere Ansätze vor – darunter auch einen, den ihr seit Langem kennt.

Was genau ist eigentlich ein Stromkollektiv? Und wie kann man es aufbauen? Mit diesen Fragen haben wir uns in den vergangenen drei Artikeln dieser Serie auseinandergesetzt. Daher hier nur noch einmal kurz zusammengefasst: Ein Stromkollektiv ist ein Zusammenschluss von Erzeugern und Verbrauchern, die in sich bemüht sind, möglichst autonom zu agieren.

Zugrunde liegt einem solchen Denk- und Organisationsansatz die eher technische Frage danach, wie sich das Potenzial der vorhandenen oder geplanten Erzeugungsanlagen optimal ausschöpfen lässt. Zum anderen steht eine marktwirtschaftliche Frage im Raum: Wie können die Teilnehmer ihren Überschuss möglichst gut verkaufen – auch jenseits der Einspeisevergütung? Bzw. umgekehrt: Wie können sie es vermeiden, Strom teuer einkaufen zu müssen, wenn doch zumindest in der Gesamtschau die Eigenproduktion ausreicht oder gar Überschüsse entstehen?

Dazu schauen wir uns im Folgenden drei Ansätze an – und riskieren am Ende den Blick auf eine alte Bekannte:

Spektakulär (aber leider) gescheitert: Enyway

Leider haben viele erst von Enyway erfahren, als es zu spät war. Als rasantes Wachstum und noch rasanter explodierende Strompreise das von Altruismus getriebene Unternehmen in die Insolvenz gerissen hatten. Keine großen Gewinne wollte man bei Enyway einfahren. Sondern den Strommarkt revolutionieren und dabei staatliche Förderung überflüssig machen. Denn wozu erst Steuern und Umlagen zahlen, wenn dieses Geld auch ohne Reibungsverluste in erneuerbare Energien fließen könnte?

Es ist jedoch noch gar nicht so lange her, dass Enyway die Wirtschaftsredaktionen landauf, landab auf ganz andere Art beschäftigte – mit Pizzakartons voller Solarenergie. Aber eines nach dem anderen.

Enyway – der Peer-to-Peer-Marktplatz

Erinnert sich der geneigte Leser noch an Napster, jenes System, mit dem wir Anfang des Jahrtausends Musikdateien tauschten – zugegeben, am Rande der Legalität und oft mit Post vom Anwalt geahndet? Nun, das gedankliche Prinzip war solide: Wir hatten auf der einen Seite Menschen, die bestimmte Musikstücke suchten, auf der andere jene, die diese Stücke zum Download anboten. Ein Server (bzw. eine ganze Reihe von Servern) sorgte dafür, dass diese Menschen einander fanden. Der Austausch lief dann dezentral über das Netz.

Dieses System übertrug Enyway nun auf den eigenen Strommarktplatz. Dort konnten Erzeuger ihren Stromüberschuss melden, den wiederum Verbraucher abnahmen – ganz regulär über das Stromnetz. Enyway sorgte dafür, dass genau dokumentiert wurde, wer wem wie viel Strom geliefert hatte. Außerdem füllte das Unternehmen als regulärer Stromversorger und Händler die Täler der Stromversorgung auf. So entstand eine Peer-to-Peer-Strombörse, von der alle Seiten profitierten – und mit deutlich geringeren Overhead-Kosten, da Enyway es sich auf die Fahnen geschrieben hatte, keinen Gewinn zu machen – bzw. diesen sofort wieder zu investieren: Zum Beispiel als Seed-Money für das nächste Projekt des Unternehmens:

Enyway – Pizzakartons voller Solarenergie

Das Unternehmen entschloss sich, eigene Solarfreiflächenanlagen aufzubauen – und diese via Crowdfunding zu finanzieren. Die Teilnehmer der Crowd konnten einzelne Stücke der Solarzellenfläche kaufen – und in der Folge sorgte dann die IT von Enyway dafür, dass der von diesem Stück erzeugte Solarstrom an den Eigentümer geliefert (bzw. ihm gutgeschrieben) wurde. Diese Stücke wurden in zwei Größen verkauft, die die malerischen Namen „Tischtennisplatte“ und „Pizzakarton“ trugen. So konnten auch Personen, die entweder nicht das Geld für eine eigene Anlage oder keine geeignete Infrastruktur (weil sie etwa zur Miete wohnten) hatten, zum Teilhaber an der Solarenergie werden und damit ihre Stromkosten senken.

Trotz der Insolvenz: Beides – das Peer-to-Peer-Netzwerk und die Pizzakartons voller Solarenergie – werden sicher Modell für künftige Stromkollektive sein. Es bleibt noch anzumerken, dass STROMDAO mit seinem Konzept der „Solarrente“ ein ganz ähnliches Ziel verfolgt.

Warum nicht gleich ein ganzes (virtuelles) Kraftwerk? Next – The Power of Many

Erinnert sich der eine oder andere geneigte Leser vielleicht noch an seti@home, jenem Projekt der Universität Berkeley, in dem Computernutzer weltweit nicht benötigte Rechenzeit auf ihren PCs zur Verfügung stellen konnten, um in den von radiologischen Teleskopen gelieferten Datenmassen nach den Spuren außerirdischer Zivilisationen zu stöbern? Die Kryptowährung Bitcoin nutzte übrigens in ihrer Anfangszeit ein ganz ähnliches Prinzip und vergütete die Rechenzeit mit Bruchteilen dieser Währung. Theoretisch läuft das noch immer so, doch das Geschäft haben längst große Serverfarmen übernommen. Dennoch: Der Autor dieser Zeilen möchte sich immer noch in den Allerwertesten beißen, dass er damals den Wünschen seines inneren Nerds gefolgt ist und nicht dem Rat seines inneren Finanzministers. Er könnte sich wohl heute zur Ruhe setzen – und E. T. ist noch immer nicht gefunden.

Nun, Schwamm drüber: Was seti@home so besonders machte, war, viele Rechner mit Bruchteilen einer einzigen Aufgabe zu betrauen: Massive Parallel Processing nennt man das heute – und der gleiche Ansatz liegt auch dem Aufbau von Supercomputern zugrunde. Seti@home schuf also aus einem Schwarm ein virtuelles Ganzes.

Einen ähnlichen Ansatz verfolgt das Unternehmen Next: Die Macher denken dabei allerdings von der Produktions- und Netzseite her. Sie führen die angeschlossenen Erzeuger, Verbraucher und Speicher durch intelligente Vernetzung in einem virtuellen Kraftwerk zusammen – zu einem Team of Many, in dem der unkoordinierte Schwarm zu einem einzigen starken Marktteilnehmer wird. So können nicht nur jene Erzeuger, die eigentlich zu klein wären (und das sind nicht nur Häuslebauer mit Solardach), von allen Chancen des Marktes profitieren: Die erneuerbaren Energien selbst erhalten eine größere Marktmacht.

Solch ein virtuelles Kraftwerk erfordert mehr als nur die Lieferung von Strom von Peer zu Peer. Es müssen auch Faktoren wie Schwankungen in der Produktion oder im Verbrauch beachtet und ausgeglichen werden. Keine ganz einfache Aufgabe – davon kann man sich selbst überzeugen, denn das Unternehmen stellt ein äußerst unterhaltsames Simulationsspiel bereit.

Die Wiederauferstehung der Stadtwerke in Selbstverwaltung: Die Bürgerwerke

Die Stadtwerke – einst lieferten sie Gas, Strom und Wasser und kümmerten sich auch um die Abwasserentsorgung und -wiederaufbereitung. Sie lagen in kommunaler Hand – und somit indirekt in der der Bürger, die sie versorgten. Doch dann kam die Kernenergie und mit ihr die gigantischen, zentralisierten Kraftwerke, die Liberalisierung des Energiemarktes – und auch die Privatisierung der Wasserversorgung wird von den üblichen Verdächtigen bereits gefordert: Der Markt richtet ja bekanntlich alles – so wie in Flint, Michigan.

Einen zusätzlichen Hieb mussten die Stadtwerke (die heute zumeist wenig mehr als Stromhändler sind) einstecken, als mit der Explosion der Energiepreise der eine oder andere Stromanbieter der Rubrik „Billitsch & Partner“ die Segel streichen musste und deren Kunden in die Grundversorgung fielen. Diese wird vielerorts über die Stadtwerke abgewickelt. Und sie ist notwendig deutlich teurer – einfach, weil die Versorger solche Ausfälle nicht langfristig einplanen und entsprechend günstigere Verträge mit Stromanbietern aushandeln können. Stattdessen müssen sie den plötzlich entstehenden Bedarf kurzfristig auf dem freien Markt einkaufen – und das ist teurer. So gesehen greift die Stadtwerke-Schelte zu kurz. Denn eigentlich bietet der dezentrale Ansatz sowie die (bisher indirekte) Beteiligung der Bürger große Vorteile.

Deshalb haben sich bisher aktuell etwa 50.000 Menschen und 113 lokale Energiegemeinschaften zu den „Bürgerwerken“ zusammengeschlossen. Gemeinsam wollen sie die Strom- und Gasversorgung ihrer Mitglieder und Kunden sicherstellen – eigenverantwortlich und mitbestimmt.

Was in den Ohren mancher wohl nach Hippie-Kommunen-Ideal klingt, hat jedoch einen ganz handfesten Hintergrund:

Nur 12 Prozent der aktuell erzeugten erneuerbaren Energien stammen dabei von den klassischen Energieversorgern. Weitere 41 Prozent stammen aus Anlagen institutioneller und strategischer Investoren – und nein, das ist kein Synonym für Heuschrecken. Gemeint sind damit beispielsweise auch Anlagen, wie sie einst Enyway vor Augen hatte und wie sie Bestandteil der STROMDAO Solarrente sind. Der größte Anteil, mit 47 Prozent fast die Hälfte, wird von Anlagen erzeugt, die in der Hand der Bürger sind.

Das bedeutet jedoch einen deutlichen Missmatch in der Machtverteilung: Klassische Energieversorgungsunternehmen, Netzbetreiber und letztlich der Staat bestimmen hauptsächlich, was im Stromnetz geschieht. Die Bürger, die doch einen großen Teil der Energiewende stemmen sollen, werden mit Minimalbeträgen abgespeist und haben wenig Einfluss.

Durch den der Dezentralisierung und den erneuerbaren Energien verpflichteten Zusammenschluss, – darin ähnelt der Ansatz der Bürgerwerke dem virtuellen Kraftwerk von Next –, entsteht hingegen ein Player mit Marktmacht, der nun aber nicht dem Shareholder-Value verpflichtet ist, sondern seinen Stakeholdern – den Bürgerinnen und Bürgern.

Ach ja, man muss keine Solarzellen auf dem Dach haben, um die Vorteile der Bürgerwerke zu nutzen: Die Stromtarife (die sich im normalen Marktrahmen bewegen) sind bundesweit für jedermann verfügbar.

Und nicht zuletzt: Ein Stromkollektiv namens…?

Werfen wir nun noch den Blick auf einen alten Bekannten: das deutsche Stromnetz. Vielleicht hat ja schon der eine oder andere den gedanklichen Sprung gemacht: Wenn ein Stromkollektiv umso ausgeglichener und effizienter wird, je mehr Player (Verbraucher und Erzeuger) man anhängt, dann wäre doch ein Kollektiv, dass alle Player erfasst, am effizientesten, oder? Kurz: Das deutsche Stromnetz hätte zumindest die Chance, zum effektivsten Stromkollektiv zu werden. Und vielleicht war es das lange Jahre auch schon – dank staatlicher Hilfe. Um den Auf- und Ausbau der erneuerbaren Energien zu fördern, unterstützt man gerade private Bauherren nicht nur bei den anfänglichen Investitionen, sondern verspricht auch, den Stromüberschuss zu einem festen Preis abzunehmen. Das machte PV- und andere Anlagen auch für Häuslebauer kalkulier- und die Risiken beherrschbar. Über die Nachteile dieses Ansatzes haben wir im ersten Teil dieser Artikelserie gesprochen.

Finanziert wurde diese Subvention über zwei Kanäle: Zum einen verkaufte der Staat den von den privaten Erzeugern abgenommenen Strom wiederum auf den Strommärkten. Zum anderen geschah die Finanzierung über die sogenannte EEG-Umlage, einen Aufschlag auf jede verkaufte Kilowattstunde. Diese Umlage wurde immer wieder neu berechnet und angepasst – bis zu diesem Jahr: Die inzwischen relativ niedrige Einspeisevergütung auf der einen und die hohen Preise an der Strombörse auf der anderen Seite führten dazu, dass die Einnahmen aus dem ersten Kanal – dem Stromverkauf – die Einkaufskosten überstiegen. Der Staat machte also Gewinn. Und so, wie die Bürger und Unternehmen dieses Geschäft über ein unfreiwilliges Crowd Funding (aka EEG-Umlage) finanziert haben, müssten sie ja jetzt – allen Marktlogiken folgend – Geld herausbekommen.

Doch offenbar gelten in der Politik die Spielregeln des Marktes nur partiell, und so wurde die EEG-Umlage kurzerhand gestrichen, die Einnahmen fließen ins Staatssäckel. Die Ironie dabei: Verkauft wurde die Streichung als Maßnahme, um den Strompreis für die Verbraucher zu senken. Ein Schelm, der Böses dabei denkt.

Also: Was glaubt ihr? Haben Stromkollektive eine Chance? Oder wollt ihr gar selbst eines gründen oder zumindest an einem teilhaben? Sprecht mir uns. Wir freuen uns auf den Austausch.